Nienburg muss solidarisch mit den Familien sein, deren Gräber geschändet wurden

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Foto: Förderverein Roma, Frankfurt. Auch in Nienburg soll bald ein Mahnmal für die im NS verfolgten und ermordeten Sinti der Stadt entstehen.

Wenn auf einem Nienburger Friedhof Straftäter über Sinti-Gräber herfallen, sie verwüsten und Grabschmuck entwenden, dann handelt es sich um respekt- und pietätlose Hooligans oder bodenlose Dummköpfe, die den niedrigen Marktpreis für Bronze nicht kennen. Aber es ist mehr als das. Es handelt sich dabei – ob den Grabschändern bewusst oder nicht – auch um rassistische Straftaten. Sie richten sich gegen eine Minderheit, die nach dem Gesetz ein anerkannter Teil der deutschen Gesellschaft ist. Die aber dennoch in zahlreichen Lebensbereichen wie Schule, Arbeit, Wirtschaft, Akzeptanz bei den Behörden und vielen mehr von Benachteiligung und Diskriminierung betroffen ist.

644 antisemitische Straftaten wurden im Jahr 2016 aktenkundig. Die meisten von ihnen waren Schmierereien, persönliche Diffamierungen, Holocaust-Leugnungen und nicht wenige Friedhofs- und Mahnmalschändungen, übrigens auch in dieser Stadt. 15 von ihnen, glücklicherweise nicht in Nienburg, waren Fälle physischer Gewalt, die zu zwei Festnahmen und vier Haftbefehlen führten. Laut Aussagen der Polizei und von (nichtjüdischen) Kriminologen liegt die Dunkelziffer – also die Anzahl nicht gemeldeter antijüdischer Straftaten – noch höher. Woher wissen wir das alles? Weil Antisemitismus und antisemitische Straftaten im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands völlig inakzeptabel sind. Deshalb werden Statistiken geführt, deshalb kommen diese Vergehen und Verbrechen im Polizeibericht vor, deshalb berichten die Medien darüber.

Was wir nicht wissen, ist die Anzahl antiziganistischer Straftaten, also von Vergehen und Verbrechen, die aus rassistischen Gründen gegen Angehörige der nationalen Minderheit der Sinti oder gegen Roma verübt werden. Warum wissen wir das nicht? Weil Antiziganismus und antiziganistische Straftaten im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands nicht völlig inakzeptabel sind, jedenfalls nicht in gleichem Maße wie der Antisemitismus. Deshalb werden darüber keine Statistiken geführt, deshalb kommen diese Straftaten in der Regel nicht in den Polizeibericht, deshalb berichten auch die Medien kaum darüber.

Deshalb darf Nienburg, ein Gemeinwesen, das den Ehrennamen „Stadt der Vielfalt“ trägt, angesichts der jüngsten, in den Medien ausführlich berichteten Grabschändungen nicht gleichgültig zur Tagesordnung übergehen. Gefordert ist die Solidarität aller Nienburgerinnen und Nienburger mit den Familien, deren Gräber und Erinnerungsorte Objekte dieser verwerflichen Übergriffe geworden sind. Und die Ermittlungsbehörden müssen alles daransetzen, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gräber der im NS Verfolgten müssen unter Schutz gestellt werden

1_Fotor

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg sind lange her. Viele von den Jüngeren wissen wenig darüber, und es gibt wenige Stätten, die an Krieg und Verfolgung in jenen Zeiten erinnern. Für viele Familien sind es oft nur die Gräber verstorbener Angehöriger, die die Erinnerung wachhalten. Für viele Sinti und Roma haben diese Gräber eine besondere Bedeutung. Dort gedenkt man nicht nur des hier begrabenen toten Menschen, sondern auch derjenigen Familienangehörigen, für die es nirgends eine Grabstelle gibt. Außerdem werden die Familien häufig schon damit konfrontiert, dass die vorgeschriebene Ruhezeit zu Ende geht. Aufgrund der Friedhofsordnungen werden dann die Gräber eingeebnet. So verschwinden nicht nur die Gräber eines oder einer lieben Angehörigen, sondern damit zugleich die Erinnerungsstätten, an denen anderer Opfer des Porrajmos gedacht werden konnte.

Gebühren für die Verlängerung der Ruhezeiten sind oft zu hoch. Oder es ist kein Nachkomme mehr vorhanden, der das Grab weiter pflegen könnte. Die Erhaltung dieser Grabstätten ist aber ein wichtiger Bestandteil der Identität der Sinti und Roma. Die Mehrheitsgesellschaft ist es der früher verfolgten und heute noch vielfältig benachteiligten Minderheit schuldig, dass diese Gräber in öffentliche Obhut genommen werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass noch vorhandene Nachkommen kein Recht auf eigene Grabpflege mehr hätten. Es bedeutet nur, dass die Gräber für immer unter Schutz stehen und dass keine weitere Ruhezeit gekauft werden muss. In vielen Bundesländern ist dieses Verfahren bereits üblich. Auch Niedersachsen will und muss sich dem anschließen. Wie die Situation in Hannover ist, davon berichtet der obige Artikel, der vor einiger Zeit in der Neuen Presse Hannover erschienen ist.

In Nienburg soll am Freitag, dem 23. Juni 2017, ein Treffen stattfinden, auf dem diese Fragen zur Sprache kommen. Betroffene Sinti aus unserer Gegend sind eingeladen, um 17:30 Uhr ins Rathaus (Witebsk-Zimmer) zu kommen und an der Diskussion teilzunehmen. Nähere Auskunft gibt Thomas Gatter (Tel. 0151 1728 7826). Wer unsicher ist, ob die Teilnahme sinnvoll ist, kann sich außerdem gern bei Mario Dettmer (Haßbergen) erkundigen.

 

Ausstellung über Sinti-Sportler in Minden

Ausstellung

Ausstellung im Bildungszentrum der Mindener Sinti “Mer Ketne – Wir zusammen!”, Königstraße 3, 32423 Minden, ab Samstag, 1. April 2017, 17 Uhr.

Seit langem kämpfen wir mit vielen Sportsfreunden um Respekt in den Stadien und Sportstätten dieses Landes. Auch viele berühmte Sportlerinnen und Sportler machen mit: Nein zum Rassismus! Aber auch in der Sportgeschichte muss die Mehrheitsgesellschaft daran erinnert werden, dass so manche Heldinnen und Helden des Sports Minderheiten angehören. Dass ihre Leistungen anerkannt werden, gehört auch zum Respekt im Sport.

In Minden  wird jetzt eine Ausstellung eröffnet, die drei “vergessene Helden” des Sports in den Mittelpunkt stellt. Die Ausstellung über OSWALD MARSCHALL, WALTER LAUBINGER und SERGIO PETER wurde von dem Nienburger Sportpädagogen Andrzej Bojarski erstellt und wird am Samstag, 1. April 2017 um 17.00 Uhr im Bildungszentrum Mer Ketne Wir zusammen! in der Königstraße 3 in 32423 Minden eröffnet.

Der Sport bietet vielfältige Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Inklusion von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Gleichzeitig ist der Sport aber ein Bereich, in dem sich Rassismus und Antiziganismus in unterschiedlichen Dimensionen entfalten können. Sie reichen von weit verbreiteten Vorurteilen über neonazistische Hetzparolen (z.B. Zick Zack Zigeunerpack) bis hin zur Gewalt. Welche positiven Vorbilder gibt es im Sport, und welche Funktion kann er für die Identitätsbildung und Selbstbehauptung von Sinti und Roma einnehmen? Andrzej Bojarski: “Ich hoffe, nicht nur als Pädagoge, sondern viel mehr als Sportler mit dieser Ausstellung das fehlende Selbstvertrauen der jungen Sinti und Roma in Deutschland zu stärken und ihnen die wichtige Rolle des Sports zur Identitätsfindung näher zu bringen. Die Jugendlichen orientieren sich sehr stark an Vorbildern und solch ein erfolgreiches Vorbild möchte ich in meiner Arbeit aufzeigen. Ich hege die Hoffnung, dass sich mehr Sinti und Roma nach dieser Ausstellung trauen, ihre Identität offen zu legen.”

AndrzejAndrzej Bojarski geb. am 28.1.1978 in Chojnice (Polen). Abitur an einer IGS in Aurich (Ostfriesland) Danach Ausbildung an der Europäischen Akademie des Sports in Trier, anschließend Studium für die Fächer Sport und ev.Religion und Referendariat in Leipzig. Ab 2016 Rektor an der Leintorschule in Nienburg (LTS)- Grund und Hauptschule mit Klasse 10. Mitglied des Netzwerkes: Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte, Mitglied des Arbeitskreises Kirche und Sport der evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, GEW stellv. Vorsitzender des Kreisverbandes Nienburg, Arbeitskreis Gedenken e.V. der Stadt Nienburg, stellv. Vorsitzender. (Foto: Die Harke)

Schrotten der Film kommt nach Nienburg, am 26. 3. 11 Uhr Filmpalast!

schrotten-der-film

 

 

 

 

 

Schrotten der Film – demnächst im Nienburger Filmpalast, übrigens mit Laien-Schauspielern auch aus Nienburg und Umgebung!

 

 

 

Schrotten der Film! Ein Film, der eintaucht in eine ganz eigene Kultur! Ein Film, der Menschen als Menschen wahrnimmt, auf die die Mehrheitsgesellschaft unberechtigter Weise herabsieht! Der norddeutsche Regisseur Max Zähle widmet ihnen mit seiner Komödie „Schrotten!“ eine warmherzige Würdigung. Lucas Gregorowicz aus „Lammbock“ spielt den Versicherungsmakler Mirko Talhammer, der vor Jahren mit seiner Familie gebrochen hat und seither in der Großstadt lebt. Die Beerdigung seines Vaters führt ihn zurück auf den in der tiefsten Pampa liegenden Schrottplatz seines Bruders Letscho (Frederick Lau). Eigentlich können sich die beiden nicht ausstehen, aber sie raufen sich buchstäblich zusammen. Denn es geht um den Erhalt des Schrottplatzes, der von der Übernahme durch einen großen Recyclingunternehmer (Jan-Gregor Kremp) bedroht ist. Um dem Ruin zu entgehen, lassen sich die Brüder auf eine schier wahnwitzige Aktion ein: Es kommt der Tag, da muss der Schrottie schrotten! Das sympathische Außenseitermärchen lebt von seinen kauzigen Typen und lebensechten Dialogen. Das Finale sollte man nicht auf seinen Realitätsgehalt überprüfen. Doch dafür erreicht der Film in seinen besten Momenten die Schärfe und Authentizität britischer Sozialkomödien. Nicht umsonst konnte dieser komödiantische Film über die Welt der Sinti den begehrten Publikumspreis beim Obhüls-Filmfestival. Ein Film, aus dem Leben gegriffen, wenn auch nicht aus dem Leben des braven Bürgers! (nach cinema.de)

Sonntag, 26. 3. 2017, 11 Uhr, Filmpalast Nienburg, Brückenstraße 2, 31582 Nienburg, 05021 3800, info@Kino-Nienburg.de

Heute in Ahlem: Niedersachsen gedenkt der Deportation der Sinti

deportation-der-sinti-aus-dem-raum-hannover-1943

Orte der Erinnerung an den Porrajmos: der Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden.

In der Nacht zum 3. März 1943 wurden Sinti und Roma aus Nord­deutschland in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. In Hannover erfolgte die Verschleppung aus dem Sammellager in der ehemaligen Jüdischen Gartenbauschule Ahlem über den Bahnhof Fischerhof. Die Aktion war seit Mitte Dezember 1942 von den örtlichen Polizeidienststellen im Raum Hannover infolge eines Erlasses des “Reichführers- SS” Heinrich Himmler vorbereitet worden. Daran wird heute in der Gedenkstätte Hannover-Ahlem, Heisterbergallee 10, 30453 Hannover, ab 12 Uhr erinnert.

 

Ein Ghetto-Überlebender sucht nach Spuren seiner Familie

Das Bildungszentrum des Vereins Deutscher  Sinti in Minden zeigt den Kino-Dokumentarfilm “Linie 41”. Natan Grossman, Überlebender des Ghettos Lodz in Polen, kehrt zurück in seine Heimatstadt und versucht, über 70 Jahre nach den damaligen Geschehnissen herauszufinden, was mit seinem Bruder geschah. Die Eltern wurden im Ghetto ermordet. Der inzwischen neunzigjährige Natan wird mit seinen Erinnerungen ebenso konfrontiert wie mit der Situation im heutigen Polen. Er trifft auf den Sohn des damaligen Nazi-Bürgermeisters, der ebenfalls nach Spuren seiner Familie sucht. Eine spannende und berührende Kino-Doku über die Verfolgung in Nazi-Deutschland und ein Film, mit dem das Zentrum “Mer Ketne – Wir zusammen” seine Bildungsarbeit in Minden fortsetzt. Die Veranstalter Oswald Marschall und Carmen Marschall-Strauss freuen sich auf zahlreiche Besucherinnen Besucher!

Montag, 6. 3. 2017, 19 Uhr, Mer Ketne-Bildungszentrum der Mindener Sinti, Königstraße 3, 32423 Minden. Regisseurin Tanja Cummings wird anwesend sein!

document200001

In ihrer Kino-Doku erzählt Regisseurin Tanja Cummings von der Suche des neunzigjährigen Nathan Grossman nach Spuren seiner im Ghetto ermordeten Eltern und nach dem verschwundenen Bruder.

.

Jetzt erst recht gemeinsame Erinnerungskultur unterstützen!

Beste Antwort auf den Rechtsextremismus: Zusammenstehen und offene Diskussion
Arbeitskreis Gedenken und Forum für Sinti und Roma rufen zu Nienburger Forum des Gedenkens auf

Vor dem Hintergrund der jüngsten Aktivitäten von (Neo-)Nazis in Nienburg rufen der  Arbeitskreis Gedenken und das Forum für Sinti und Roma Hannover zu einer starken Beteiligung am Forum des Gedenkens auf. Das öffentliche Forum findet im Ratssaal der Stadt Nienburg am 4. 2. ab 11 Uhr statt. Vorbereitend dazu bringt der Filmpalast Nienburg, Brückenstraße 2, den Film “Wir sind Juden aus Breslau” in Anwesenheit der Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies auf die Leinwand.

Die beiden Einrichtungen der Stadt Nienburg und der Region Hannover halten dies für die beste Antwort auf den in Nienburg aufbrandenden Rechtsradikalismus und seinen offenbar konzertierten Angriff auf die Gedenkkultur an der Mittelweser. Vor dem Hintergrund öffentlicher Schmähungen der Gedenkkultur durch Repräsentanten der AfD und anderer rechtsradikaler Parteien und Gruppierungen in den letzten Wochen kam es  am 19. November 2016 und am 28. Januar 2017 – beide Male im unmittelbaren Umkreis antifaschistischer und offizieller Gedenktage – zu Aufmärschen der Nazis in der Weserstadt. Besonders der letzte Aufmarsch einen Tag nach dem Internationalen Holocaust-Gedenktag und unmittelbar vor dem Gedenken Nienburger Sinti an alle Opfer von Shoa und Porrajmos erinnerte mit seiner NS-Choreographie an Fackelzüge der SA und Bücherverbrennungen. Am Holocaust-Gedenktag war zudem die Stadt durch eine Bombendrohung in beiden Gymnasien – zeitgleich mit einer Informationsveranstaltung zur Kultur der Sinti in einer anderen Schule – in Angst versetzt worden.

Arbeitskreis Gedenken Nienburg und Forum für Sinti und Roma Hannover gehen davon aus, dass die rechtsradikalen Aktionen an der Mittelweser kein Zufall sind. Nienburg habe eine intensive Gedenkkultur. Diesem wichtigen Bestandteil des öffentlichen Lebens der Stadt gelte der Angriff der Neonazis. Die beiden Einrichtungen teilen die Ansicht von WABE, dass Nienburg von der “Rechten” als möglicher Ersatz für Bad Nenndorf ausgewählt wurde, wo starke zivilgesellschaftliche Gegenmaßnahmen ihre Freiräume weitgehend zurückgedrängt haben. Arbeitskreis und Forum appellieren an die Nienburger Öffentlichkeit, diesem Angriff eine Absage zu erteilen. Die beste Antwort der demokratischen Kräfte auf den Rechtsextremismus sei Zusammenstehen und offene Diskussion. Sie fordern zur verstärkten Teilnahme am bevorstehenden Forum des Gedenkens auf, das eine gute Möglichkeit biete, die Vorkommnisse und ihre Hintergründe öffentlich zu diskutieren.

faltblatt-27-januar-2017-s-2

Beschluss zum Erhalt der Gräber von NS-verfolgten Sinti und Roma

Betr.: Übernahme der Kosten durch Bund und Länder

Vom Bundesfamilienministerium erreicht mich folgende Mitteilung:

Die Kosten der Grabstätten von den im Nationalsozialismus verfolgten Sinti und Roma werden künftig zu je 50 Prozent von Bund und Ländern übernommen. Manuela Schwesig begrüßte den Entschluss. Bund und Länder haben am 9. Dezember im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin einen Beschluss zum Ruherecht für Grabstätten der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Sinti und Roma gefasst. Bund und Länder sind übereingekommen, die Kosten zum Erhalt der Gräber zu je 50 Prozent zu übernehmen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sagte dazu:

 “Ich begrüße den Beschluss zum Erhalt der Gräber derjenigen Sinti und Roma, die vom Nationalsozialistischen Regime als Volksgruppe aus rassistischen Gründen verfolgt wurden. Das sind wir den Toten und ihren Nachkommen schuldig. Mein Haus wird in enger Abstimmung mit den zuständigen Stellen in den Ländern eine Regelung erarbeiten, damit dieser Beschluss schnell umgesetzt werden kann.”

Die Umsetzung kann unter Wahrung verfassungsrechtlicher Zuständigkeiten des Bundes und der Länder ohne gesetzliche Änderungen kurzfristig erfolgen. Die Zuständigkeit der Länder für eine Regelung des Ruherechtes bleibt dabei unberührt, auch die Gesetzgebungskompetenz bleibt bei den Ländern. Die noch im Detail auszuhandelnde Vereinbarung soll sich an die Regelung für die verwaisten jüdischen Friedhöfe aus der Vorkriegszeit orientieren. Bundesweit sind etwa 3000 Grabstätten betroffen. Der Bund erklärte sich bereit, den Ländern 50 Prozent der entstehenden Kosten zu erstatten.

Es wird jetzt darauf ankommen, von den Sinti-Familien die Gräber genannt zu bekommen, damit wir auf die Städte und Gemeinden zugehen können, die den Beschluss umsetzen müssen.

picture1

Dauerndes Ruherecht © Fotolia/Johanna Mühlbauer Courtesy of BMFSFJ

Mer Ketne

Mindener Sinti-Verein eröffnet neues Informationszentrum mit Dauerausstellung über Porrajmos

Am kommenden Samstag (29. Oktober) eröffnet der Verein Deutscher Sinti e.V. Minden sein neues Bildungs- und Informationszentrum in der Mindener Innenstadt. Dabei wartet der Verein mit einem Höhepunkt auf, der nicht nur die Mindener Sinti und Roma interessieren wird. Die Auftaktveranstaltung des Zentrums schließt die Eröffnung einer Dauerausstellung über die Geschichte des Porrajmos ein. Die umfassende und wissenschaftlich fundierte Ausstellung beruht auf einer Dokumentation, die auf der Expo Hannover gezeigt und jetzt für die neuen Räume in Minden umgearbeitet wurde. Minden verdankt diese wichtige Ergänzung seiner Stadtkultur dem ehemaligen Boxer und erfolgreichen Boxtrainer Oswald Marschall, der seit 2015 den Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma in Berlin vertritt. Daneben ist er 1. Vorsitzender des Mindener Vereins.

2015-05-04_ausstellung_ordnung_und_vernichtung-_die_polizei_im_ns-staat_polizeidirektion_hannover_201_oswald_marschall

Der Mindener Oswald Marschall vertritt die Sinti und Roma in vielen Gremien auf Bundesebene und ist Leitender Referent des Zentralrats der Sinti und Roma in Berlin (Foto newiki)

Die Veranstaltung am Samstag, die um 15 Uhr in der Königstraße 3 beginnt, gibt den Teilnehmenden zugleich viel Gelegenheit zum Austausch über die Situation der Sinti und Roma in Deutschland und deren mögliche Verbesserung. Nach wie vor ist die Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der anerkannten nationalen Minderheit der Sinti von Rassismus und Antiziganismus geprägt. Insbesondere die Bildungsintegration lässt zu wünschen übrig. Vorurteile und rassistische Klischees beherrschen die Haltung der Bevölkerungsmehrheit gegenüber den Sinti. Häufig werden sie kriminalisiert, während ihr verfassungsmäßiger Anspruch auf Gleichheit vor dem Gesetz – offen oder versteckt – verweigert wird. Gleichzeitig wirkt die Ausgrenzung aus Bildungs-, Ausbildungs- und Berufschancen wie eine self-fulfilling prophecy (eine Vorhersage, die selbst dafür sorgt, dass sie eintritt). Die systematische Benachteiligung drängt die Betroffenen an den Rand der Gesellschaft, ins soziale Abseits und in Milieus, die abweichendes Verhalten und Rechtsbrüche begünstigen, ja sogar zwangsläufig machen. All diese Sachverhalte und ihre beklagenswerten Folgen betreffen ebenso die Roma in Deutschland – im Allgemeinen nur noch schlimmer.

In drei Workshops, zu denen sich zahlreiche prominente VertreterInnen aus Politik und Bildung Nordrhein-Westfalens angesagt haben, sollen diese Themen offen zur Sprache kommen. Die Mindener Sinti wollen aber nicht nur Schlimmes beklagen, sondern nach vorn sehen. Das Bildungszentrum hat sich mit dem Projekt “Mer Ketne – Wir zusammen” das Ziel gesetzt, zwar über Diskriminierung und Chancen-Ungleichheit aufzuklären, aber auch Wege aufzuzeigen, wie diese zu überwinden sind und mehr gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen ist.

Die Veranstaltung ist öffentlich, Besucherinnen und Besucher auch von außerhalb Mindens sind willkommen!

mer-ketne

Tschechische Volleyball- Jugendmannschaft unter dem Namen “Zyklon B”

Rassismus und Antizinganismus in Osteuropa nehmen zu. In Tschechien lief Anfang Oktober die Volleyball-Mannschaft eines Kinderheims unter dem Namen “Zyklon B” auf.

Zyklon B hieß das Giftgas, das in Auschwitz zum Einsatz kam. Bei dem Turnier traten auch Roma-Kinder an. Da in osteuropäischen Ländern wohl keine Roma-Familie existiert, deren Großeltern und Elterngeneration nicht vom Porrajmos betroffen waren, ist die Namensgebung für das jugendliche Volleyballteam eine unerträgliche Provokation und eine rassistische Verhöhnung der Opfer unter den Sinti und Roma. Über den Vorfall berichteten mehrere tschechische Zeitungen, darunter die Jüdische Zeitung “Zidovske listy” und das Blatt “Pravo”.

Jüdische Organisationen in Tschechien äußerten sich entsetzt über den Vorfall. “Mich überrascht, dass die Veranstalter dies nicht gestoppt haben”, zitierte “Pravo” Tomas Jelinek, den früheren Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Prag. Seine Tochter hatte für ein anderes Team an dem Wohltätigkeitsturnier teilgenommen und davon berichtet. Fans hätten im Stadion “Lauf, Zyklon B!” gerufen.

Es sei erschütternd, dass das Team “Zyklon B” unter anderem gegen eine Gruppe von Roma-Kindern gespielt habe, sagte Jelinek weiter. Mit dem Giftgas Zyklon B hatten die Nationalsozialisten im Vernichtungslager Auschwitz mehr als eine Million Juden sowie Zehntausende Sinti und Roma ermordet.

Während der deutschen Besatzungszeit wurden die Roma auch im Protektorat Böhmen und Mähren verfolgt. Besonders schlimm wurde es nach dem 9. März 1942. Die Protektoratsregierung übertrug ein Gesetz aus dem Reich auf die ehemalige Tschechoslowakei: den Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Unter diesem Deckmantel kämpfte das NS-Regime gegen alle so genannten „asozialen“Elemente. Es war der Startschuss für die rassische Kategorisierung der Roma und ihre Deportation nach Auschwitz.

lety_deti_deportacex

 

Roma-Kinder aus Böhmen nach der Befreiung.

 

 

 

 

 

 

 

Nach dem Krieg kehrten nur 583 tschechische Roma aus den Konzentrationslagern der Nazis zurück. Michal Schuster ist Historiker am Museum für die Kultur der Roma in Brno:

„Wir können festhalten, dass 90 Prozent der ursprünglichen Roma-Bevölkerung in Böhmen und Mähren während des Zweiten Weltkriegs massakriert wurde. Und der prozentuelle Anteil von Betroffenen einer einzelnen Volksgruppe ist einer der höchsten in ganz Europa.“ (Radio Prag: Porrajmos – der Holocaust an den Roma im Protektorat Böhmen und Mähren, 27. 10. 2012)

Der Leiter des  Kinderheims bei Prag, dessen Team als “Zyklon B” angetreten war, und die veranstaltende Stiftung entschuldigten sich dafür, den Vorfall nicht rechtzeitig unterbunden zu haben. Wer für die Namensgebung verantwortlich war, ist bislang nicht bekannt. Es ist die historische Verantwortung der Mehrheitsgesellschaften in Europa, und der Respekt vor den Opfern von Auschwitz und ihren Nachkommen fordert es, solchen Entwicklungen entschieden entgegenzutreten.