Nienburg muss solidarisch mit den Familien sein, deren Gräber geschändet wurden

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Foto: Förderverein Roma, Frankfurt. Auch in Nienburg soll bald ein Mahnmal für die im NS verfolgten und ermordeten Sinti der Stadt entstehen.

Wenn auf einem Nienburger Friedhof Straftäter über Sinti-Gräber herfallen, sie verwüsten und Grabschmuck entwenden, dann handelt es sich um respekt- und pietätlose Hooligans oder bodenlose Dummköpfe, die den niedrigen Marktpreis für Bronze nicht kennen. Aber es ist mehr als das. Es handelt sich dabei – ob den Grabschändern bewusst oder nicht – auch um rassistische Straftaten. Sie richten sich gegen eine Minderheit, die nach dem Gesetz ein anerkannter Teil der deutschen Gesellschaft ist. Die aber dennoch in zahlreichen Lebensbereichen wie Schule, Arbeit, Wirtschaft, Akzeptanz bei den Behörden und vielen mehr von Benachteiligung und Diskriminierung betroffen ist.

644 antisemitische Straftaten wurden im Jahr 2016 aktenkundig. Die meisten von ihnen waren Schmierereien, persönliche Diffamierungen, Holocaust-Leugnungen und nicht wenige Friedhofs- und Mahnmalschändungen, übrigens auch in dieser Stadt. 15 von ihnen, glücklicherweise nicht in Nienburg, waren Fälle physischer Gewalt, die zu zwei Festnahmen und vier Haftbefehlen führten. Laut Aussagen der Polizei und von (nichtjüdischen) Kriminologen liegt die Dunkelziffer – also die Anzahl nicht gemeldeter antijüdischer Straftaten – noch höher. Woher wissen wir das alles? Weil Antisemitismus und antisemitische Straftaten im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands völlig inakzeptabel sind. Deshalb werden Statistiken geführt, deshalb kommen diese Vergehen und Verbrechen im Polizeibericht vor, deshalb berichten die Medien darüber.

Was wir nicht wissen, ist die Anzahl antiziganistischer Straftaten, also von Vergehen und Verbrechen, die aus rassistischen Gründen gegen Angehörige der nationalen Minderheit der Sinti oder gegen Roma verübt werden. Warum wissen wir das nicht? Weil Antiziganismus und antiziganistische Straftaten im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands nicht völlig inakzeptabel sind, jedenfalls nicht in gleichem Maße wie der Antisemitismus. Deshalb werden darüber keine Statistiken geführt, deshalb kommen diese Straftaten in der Regel nicht in den Polizeibericht, deshalb berichten auch die Medien kaum darüber.

Deshalb darf Nienburg, ein Gemeinwesen, das den Ehrennamen „Stadt der Vielfalt“ trägt, angesichts der jüngsten, in den Medien ausführlich berichteten Grabschändungen nicht gleichgültig zur Tagesordnung übergehen. Gefordert ist die Solidarität aller Nienburgerinnen und Nienburger mit den Familien, deren Gräber und Erinnerungsorte Objekte dieser verwerflichen Übergriffe geworden sind. Und die Ermittlungsbehörden müssen alles daransetzen, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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