Sinti aus Raum Nienburg und Celle übernehmen Mitverantwortung für die Gesellschaft

In vielen Regionen Norddeutschlands schlagen gegenwärtig Sinti den Weg in Richtung gesellschaftlicher Teilhabe ein. Besonders die junge Generation akzeptiert nicht mehr, dass der verfassungsmäßig anerkannten nationalen Minderheit nur ein Platz im “Hinterhof” der Gesellschaft eingeräumt wird. Sie wollen ihr Recht als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, nicht mehr und nicht weniger! Wer die Lage der Sinti kennt und sich ihrer Benachteiligung im Berufs- und Geschäftsleben, im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei der Jobsuche oder in der Schule bewusst ist, weiß, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. Aber selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.

Das Junge Forum gegen Antiziganismus sieht diesen ersten Schritt darin, als Bürgerinnen und Bürger Mitverantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Das Junge Forum ist ein 2020 gegründeter Verein von Sinti und Roma aus dem Raum Nienburg und Celle (nicht zu verwechseln mit dem umstrittenen Nienburger “Sinti-Mittelweser-Verein”), der sich nicht nur gegen Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus allgemein engagiert. Seine Mitglieder wollen auch pro-aktiv und ganz konkret etwas für diese Gesellschaft tun. So haben sie sich mit technischer Hilfe ehrenamtlich beim Aufbau des neuen Mahnmals für die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen in Nienburg beteiligt. Die Sinti übernahmen unentgeltlich die Montage eines Teils der Beschilderung, die Anbringung von Namenstafeln der Opfer und die Installation einer Acrylplatte über den Namenstafeln. 

Mitglieder des Jungen Forums gegen Antiziganismus am Nienburger Mahnmal, November 2020, Foto: Mario Müller)

Auch bei der künftigen Pflege und Weiterentwicklung des Anfang November eingeweihten Mahnmals, das auch an die NS-Opfer aus Sinti-Familien erinnert, will sich das Junge Forum gegen Antiziganismus beteiligen. Der für das Mahnmal zuständige Arbeitskreis Gedenken der Stadt Nienburg/Weser hat in seiner jüngsten Sitzung eine Kooperation mit dem Jungen Forum beschlossen. Ab Januar 2021 sollen jeweils zwei Mitglieder des Jungen Forums an den Arbeitskreis-Sitzungen teilnehmen, um gemeinsame Arbeitsvorhaben zu erörtern. Darüber hinaus wollen die Sinti im kommenden Jahr ein Zeitzeugenprojekt aufbauen und sich mit einer Ausstellung über Sinti und Sintize im Sport in Celle vorstellen, sobald die Corona-Entwicklung das zulässt.

“Ach Warschau…” und “Der Gelbe Stern”

Im Jahr 2020 blickt Deutschland auf zwei historische Ereignisse vor 75 Jahren zurück, die gemeinsam den Gründungsmythos der Bundesrepublik prägten: die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und das Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Der 27. Januar und der 8. Mai des Jahres 1945 wurden damit zu den wichtigsten Daten der Wiedergeburt der Demokratie auf deutschem Boden nach der gescheiterten Weimarer Republik. Doch der demokratische Rechtsstaat wuchs nur auf der westlichen Hälfte des Landes aus den Trümmern des „Dritten Reiches“. 45 Jahre später erst vervollständigte ein drittes Ereignis, die Wiedervereinigung 1990, als Ergebnis der friedlichen Revolution in der DDR die historische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland.

An diese Zusammenhänge erinnert der Arbeitskreis Gedenken 2020 der Stadt Nienburg mit einer ganzen Reihe herausragender Veranstaltungen. Die Themenreihe beginnt mit einer szenischen Präsentation und einer Ausstellungseröffnung am Sonntag, 26. Januar 2020, um 11:15 Uhr im Vestibül des Rathauses. Beide Veranstaltungsteile befassen sich intensiv mit der Verfolgungsgeschichte des NS-Regimes bis hin zur massenhaften Tötung von Juden, Sinti und Roma und anderen Gruppen, die vom rassistischen und gleichgeschalteten Menschenbild der Nazi-Ideologie abwichen.

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„Ach Warschau…“ ist die szenische Präsentation überschrieben, die Schülerinnen und Schüler der AG „Für den Frieden“ der Kooperativen Gesamtschule Rastede zum Gedenken an den 27. Januar erarbeitet haben. Warschau steht in ihrer Darstellung stellvertretend für 1100 Ghettos, rund 1000 KZs und sieben Vernichtungslager, in denen die Ermordung von Millionen Menschen von SS, Polizei und Wehrmacht vorbereitet und durchgeführt wurde. Nicht, dass sich die Opfer ohne Gegenwehr in ihr Schicksal ergeben hätten. In Lodz, Krakau oder Warschau, in Dachau, Buchenwald und selbst in Auschwitz und Treblinka wehrten sich Juden, Sinti und Roma oder politische Häftlinge immer wieder gegen die übermächtigen NS-Schergen. Auch diese gern verschwiegene oder gar geleugnete Tatsache wollen die Jugendlichen aus Rastede vor dem Vergessen bewahren.

Die Ausstellung „Der gelbe Stern“ bietet mit einprägamen, oft bestürzenden Bildern den historischen Hintergrund zu der Präsentation. „Einmal muss das Entsetzen uns erreichen – sonst gibt es kein Weiter!“ ist das Motto, unter das die Friedensbibliothek Berlin die Bild- und Textcollagen gestellt hat. Sie führen den Betrachtenden durch den grausamen Weg der Judenverfolgung in Deutschland vom Beginn des 20. Jahrhunderts über den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Zeit bis hin zu den Pogromen, Deportationen und Mordaktionen von 1938 bis 1945. Die Friedensbibliothek Berlin ist eine Einrichtung der Evangelischen Kirche Berin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, deren Anfänge auf regimekritische Initiativen in der DDR-Zeit zurückgehen. Heute widmet die Gruppe ihr Engagement mit Wanderausstellungen in ganz Deutschland und Österreich dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Wiederaufkommen „völkischen“ Gedankenguts.

Musikalisch begleitet wird die Matinee im Rathaus von Sascha Jasarevic, einem Roma-Geiger aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Eintritt ist wie immer frei.

Nienburger Sinti gründen Verein und vernetzen sich

Musikalisches Highlight auf der Netzwerktagung im Kulturwerk: das Ramon Rose Duo!

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Gründung von Sinti und Roma Mittelweser (e.V.) gibt der Tagung des Interessenverbunds Weser-Ems im Nienburger Kulturwerk nachhaltige Wirkung

Große Resonanz seitens der niedersächsischen Sinti erfreute sich die Tagung des Interessenverbunds Weser-Ems der Sinti und Roma am vergangenen Wochenende im Nienburger Kulturwerk. Angehörige der in Deutschland als nationale Minderheit anerkannten Bevölkerungsgruppe aus Leer, Celle, Hannover und der Mittelweser-Region waren auf Einladung des Arbeitskreises Gedenken nach Nienburg gereist, um sich über ihre soziale Situation auszutauschen und Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe zu erörtern. Die vom Arbeitskreis und dem Sinti-Verein Ostfriesland gemeinsam und mit Unterstützung des Kulturwerks organisierte Tagung hatte nach Angaben des Leeraner Vorsitzenden Michael Wagner das „Empowerment” zum Ziel, die stärkere Befähigung der Minderheit, am sozialen, kulturellen und politischen Leben der Gesellschaft teilzunehmen. Hierzu sei die Selbstorganisation vor Ort eine wesentliche Voraussetzung, hatte Wagner bei seiner Eröffnungsrede erklärt.

Wagners Appell wurde von ausnahmslos allen Referenten unterstützt. Gekommen waren unter anderem Thomas Jung, Pfarrer der Nienburger Sankt-Bernward-Gemeinde, Bernd Grafe-Ulke vom niedersächsischen Projekt „Kompetent gegen Antiziganismus” und Ralf Küper von der Landesschulbehörde. Probleme der gesellschaftlichen Integration, der Wohnungssuche, der Chancengleichheit in Schule und Berufsausbildung und beim Umgang mit Behörden wurden in einer Podiumsdiskussion thematisiert und in Arbeitsgruppen vertieft. Dabei stellte sich heraus, dass Ausgrenzung und Benachteiligung von Sinti und Roma in allen beteiligten Städten in ähnlichem Maße erfahren werden.

Vor diesem Hintergrund berichteten Tagungsteilnehmer aus Nienburg über ihre Initiative zu einer Vereinsgründung unter dem Namen „Sinti und Roma Mittelweser e.V.” Unterstützt vom Arbeitskreis Gedenken, waren sie im Vorfeld der Konferenz zusammengekommen, um eine Satzung, einen Antrag auf Gemeinnützigkeit und ein erstes Arbeitsprogramm zu beschließen. Auch ein Vorstand sei bereits gewählt worden. Der Verein plane noch für dieses Jahr eine Veranstaltung zur weiteren Mitgliederwerbung. Daneben wolle man Kontakte zur Stadt und zum Landkreis knüpfen und sich mit anderen Einrichtungen auch interkulturell vernetzen.

Zum Abschluss der Konferenz zogen die Veranstalter und das Team des Kulturwerks eine positive Bilanz der Veranstaltung. Einen erfreulichen Schlusspunkt setzte eine gemeinnützige Maßnahme: die übrig gebliebene Tagungsverpflegung wurde über die sozialen Netze und ,,Nienburg hilft” an hilfsbedürftige Familien verteilt. Und durch die Gründung des Vereins “Sinti und Roma Mittelweser (e.V.) erhält die 2. Netzwerktagung des Interessenverbunds Weser Ems eine nachhaltige Wirkung!

Heute Treffen der Sinti zum Thema Gräberschutz im Nienburger Rathaus

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Zum Thema des dauerhaften Erhaltes der Grabstätten der im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen treffen sich Sinti aus Nienburg und Umgebung heute im Rathaus Nienburg (Witebsk-Zimmer). Das Treffen beginnt um 17:30 Uhr.

Auf Einladung des Arbeitskreises Gedenken treffen sich heute Sinti aus der Mittelweser-Region und Südheide im Rathaus Nienburg, um über das Thema des Gräberschutzes zu diskutieren. Es geht um die dauerhafte Erhaltung der Grabstätten von Angehörigen betroffener Familien, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Gegenwärtig wird zwischen Bund und Ländern eine einheitliche Regelung erörtert, nach der diese Gräber ähnlich den Kriegsgräbern unter Schutz gestellt werden können. Ihre dauerhafte Erhaltung als Erinnerungsorte wäre so auch dann gewährleistet, wenn die Ruhezeiten überschritten werden und keine Nachkommen mehr vorhanden sind, die sich weiter um die Gräber kümmern könnten.

Als Referenten und beratende Teilnehmende haben sich Regardo Rose und weitere Vertreter des Forum für Sinti und Roma Hannover sowie Oswald Marschall, der Berliner Repräsentant des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma angesagt. Erwartet wird auch Carmen Strauss-Marschall vom Bildungszentrum Mer Ketne Wir zusammen! des Vereins deutscher Sinti in Minden.

Das Treffen findet im Witebsk-Zimmer des Nienburger Rathauses statt und beginnt um 17:30 Uhr. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Gedenken, Thomas Gatter, gibt eine Einführung ins Thema, die Moderation übernimmt Vorstandsmitglied und Schulleiter Andrzej Bojarski (Leintorschule). Eingeladen sind Sinti und Roma betroffener Familien.

 

Schrotten der Film kommt nach Nienburg, am 26. 3. 11 Uhr Filmpalast!

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Schrotten der Film – demnächst im Nienburger Filmpalast, übrigens mit Laien-Schauspielern auch aus Nienburg und Umgebung!

 

 

 

Schrotten der Film! Ein Film, der eintaucht in eine ganz eigene Kultur! Ein Film, der Menschen als Menschen wahrnimmt, auf die die Mehrheitsgesellschaft unberechtigter Weise herabsieht! Der norddeutsche Regisseur Max Zähle widmet ihnen mit seiner Komödie „Schrotten!“ eine warmherzige Würdigung. Lucas Gregorowicz aus „Lammbock“ spielt den Versicherungsmakler Mirko Talhammer, der vor Jahren mit seiner Familie gebrochen hat und seither in der Großstadt lebt. Die Beerdigung seines Vaters führt ihn zurück auf den in der tiefsten Pampa liegenden Schrottplatz seines Bruders Letscho (Frederick Lau). Eigentlich können sich die beiden nicht ausstehen, aber sie raufen sich buchstäblich zusammen. Denn es geht um den Erhalt des Schrottplatzes, der von der Übernahme durch einen großen Recyclingunternehmer (Jan-Gregor Kremp) bedroht ist. Um dem Ruin zu entgehen, lassen sich die Brüder auf eine schier wahnwitzige Aktion ein: Es kommt der Tag, da muss der Schrottie schrotten! Das sympathische Außenseitermärchen lebt von seinen kauzigen Typen und lebensechten Dialogen. Das Finale sollte man nicht auf seinen Realitätsgehalt überprüfen. Doch dafür erreicht der Film in seinen besten Momenten die Schärfe und Authentizität britischer Sozialkomödien. Nicht umsonst konnte dieser komödiantische Film über die Welt der Sinti den begehrten Publikumspreis beim Obhüls-Filmfestival. Ein Film, aus dem Leben gegriffen, wenn auch nicht aus dem Leben des braven Bürgers! (nach cinema.de)

Sonntag, 26. 3. 2017, 11 Uhr, Filmpalast Nienburg, Brückenstraße 2, 31582 Nienburg, 05021 3800, info@Kino-Nienburg.de

Das darf nicht vergessen werden!

Gedenkstunde Nienburger Sinti in der Mindener Landstraße am 6. November

Alljährlich Anfang November erinnert sich Nienburg an die Zerstörung seiner Synagoge 1938 und die schrittweise Zerschlagung der jüdischen Gemeinde der Stadt. Auch Nienburger Sinti greifen das Thema des Holocaust auf. In der Mindener Landstraße 21 hat der Verein “Gedenkstätte Heilige Mutter der Liebe für alle Nationalitäten” einen kleinen Erinnerungsort aufgebaut. Dorthin lädt Vereinsvorsitzender Thomas Krüger zu einer Gedenkstunde am 6. November um 15 Uhr ein.

Nur wenige Menschen der heutigen Generation mögen wissen, dass die deutschen Sinti ebenso unter den Nazi-Verbrechen gelitten haben wie die Juden. “Sinti und Roma zusammen genommen sind die zweitgrößte Opfergruppe des Holocaust”, betont Thomas Krüger in seiner Einladung. Die mit dem Begriff der Schoa bezeichneten Verbrechen an den Juden und mit dem Romanes-Wort “Porrajmos” bezeichneten Verbrechen an den Sinti und Roma seien nur zwei verschiedene Seiten des Holocaust gewesen. Als bei den Novemberpogromen von 1938 die Synagogen brannten und viele Juden in die KZ Buchenwald und Dachau verschleppt wurden, gehörten zu den Verhafteten auch zahlreiche Sinti. Schon im Juni und April 1938 hatte die Kripo, die damals mit Gestapo und SS zusammenarbeitete, mehr als 10 000 Männer vor allem aus Sinti-Familien verschleppt und in Dachau und Buchenwald eingesperrt.

Am 8. Dezember 1938 kam dann der Erlass von SS-Himmler, mit dem die systematische Verfolgung der Sinti und Roma eingeleitet wurde. Bald nach Kriegsbeginn begannen dann die Verhaftungen und ab Mai 1940 die Deportationen in die KZs. Während des ganzen Krieges wurden Männer, Frauen und Kinder der Sinti und Roma massenhaft in die Vernichtungslager geschickt, vor allem nach Auschwitz. Ungefähr 500 000 starben im Porrajmos. “Das darf niemals vergessen werden!” so der Vereinsvorsitzende.

 Dass manchmal versucht wird, NS-Opfergruppen auseinander zu dividieren, findet Krüger ungerechtfertigt: “Das schwächt die Gedenkkultur und gibt den Rassisten, die es leider in unserem Land wieder gibt, Auftrieb.” Der Verein mit dem Sitz in der Minderlandstraße 21 erinnert deshalb mit seiner jährlichen Gedenkstunde grundsätzlich an alle Opfer des Holocaust. Darüber hinaus kümmern sich die Mitglieder auch um hilfsbedürftige Menschen aller Nationalitäten. Wer etwas spenden will, kann dies mit einer Überweisung auf das Konto des Vereins bei der Sparkasse Nienburg tun: IBAN: DE21 2565 0106 0036 0982 34, Stichwort “Gedenkstätte” oder “Bedürftigenhilfe”. Nähere Auskunft gibt Thomas Krüger gern: Tel. 05021 910979.

 

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