“Ach Warschau…” und “Der Gelbe Stern”

Im Jahr 2020 blickt Deutschland auf zwei historische Ereignisse vor 75 Jahren zurück, die gemeinsam den Gründungsmythos der Bundesrepublik prägten: die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und das Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Der 27. Januar und der 8. Mai des Jahres 1945 wurden damit zu den wichtigsten Daten der Wiedergeburt der Demokratie auf deutschem Boden nach der gescheiterten Weimarer Republik. Doch der demokratische Rechtsstaat wuchs nur auf der westlichen Hälfte des Landes aus den Trümmern des „Dritten Reiches“. 45 Jahre später erst vervollständigte ein drittes Ereignis, die Wiedervereinigung 1990, als Ergebnis der friedlichen Revolution in der DDR die historische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland.

An diese Zusammenhänge erinnert der Arbeitskreis Gedenken 2020 der Stadt Nienburg mit einer ganzen Reihe herausragender Veranstaltungen. Die Themenreihe beginnt mit einer szenischen Präsentation und einer Ausstellungseröffnung am Sonntag, 26. Januar 2020, um 11:15 Uhr im Vestibül des Rathauses. Beide Veranstaltungsteile befassen sich intensiv mit der Verfolgungsgeschichte des NS-Regimes bis hin zur massenhaften Tötung von Juden, Sinti und Roma und anderen Gruppen, die vom rassistischen und gleichgeschalteten Menschenbild der Nazi-Ideologie abwichen.

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„Ach Warschau…“ ist die szenische Präsentation überschrieben, die Schülerinnen und Schüler der AG „Für den Frieden“ der Kooperativen Gesamtschule Rastede zum Gedenken an den 27. Januar erarbeitet haben. Warschau steht in ihrer Darstellung stellvertretend für 1100 Ghettos, rund 1000 KZs und sieben Vernichtungslager, in denen die Ermordung von Millionen Menschen von SS, Polizei und Wehrmacht vorbereitet und durchgeführt wurde. Nicht, dass sich die Opfer ohne Gegenwehr in ihr Schicksal ergeben hätten. In Lodz, Krakau oder Warschau, in Dachau, Buchenwald und selbst in Auschwitz und Treblinka wehrten sich Juden, Sinti und Roma oder politische Häftlinge immer wieder gegen die übermächtigen NS-Schergen. Auch diese gern verschwiegene oder gar geleugnete Tatsache wollen die Jugendlichen aus Rastede vor dem Vergessen bewahren.

Die Ausstellung „Der gelbe Stern“ bietet mit einprägamen, oft bestürzenden Bildern den historischen Hintergrund zu der Präsentation. „Einmal muss das Entsetzen uns erreichen – sonst gibt es kein Weiter!“ ist das Motto, unter das die Friedensbibliothek Berlin die Bild- und Textcollagen gestellt hat. Sie führen den Betrachtenden durch den grausamen Weg der Judenverfolgung in Deutschland vom Beginn des 20. Jahrhunderts über den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Zeit bis hin zu den Pogromen, Deportationen und Mordaktionen von 1938 bis 1945. Die Friedensbibliothek Berlin ist eine Einrichtung der Evangelischen Kirche Berin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, deren Anfänge auf regimekritische Initiativen in der DDR-Zeit zurückgehen. Heute widmet die Gruppe ihr Engagement mit Wanderausstellungen in ganz Deutschland und Österreich dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Wiederaufkommen „völkischen“ Gedankenguts.

Musikalisch begleitet wird die Matinee im Rathaus von Sascha Jasarevic, einem Roma-Geiger aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Eintritt ist wie immer frei.

2019 Auschwitz erinnern heißt auch Porrajmos erinnern!

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Deportation von Sinti aus Asperg, 22. 5. 1940, Foto der Ritter-“Forschungsstelle”, aus dem Bundesarchiv)

Wir haben jetzt einen Antisemitismus-Beauftragten, das ist toll und notwendig. Aber wann fängt Deutschland an, den Antiziganismus auch offiziell wahrzunehmen? Nur weil er weniger offen gewalttätig als damals und heute eher strukturell ist, darf man ihn ignorieren? Ich weiß nicht, ob es Eli Wiesel oder Kurt Tucholsky war, der sinngemäß schrieb, dass sich der Wert einer Kultur daran zeigt, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Ist auch egal von wem das Zitat stammt, es stimmt jedenfalls.

Heute in Ahlem: Niedersachsen gedenkt der Deportation der Sinti

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Orte der Erinnerung an den Porrajmos: der Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden.

In der Nacht zum 3. März 1943 wurden Sinti und Roma aus Nord­deutschland in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. In Hannover erfolgte die Verschleppung aus dem Sammellager in der ehemaligen Jüdischen Gartenbauschule Ahlem über den Bahnhof Fischerhof. Die Aktion war seit Mitte Dezember 1942 von den örtlichen Polizeidienststellen im Raum Hannover infolge eines Erlasses des “Reichführers- SS” Heinrich Himmler vorbereitet worden. Daran wird heute in der Gedenkstätte Hannover-Ahlem, Heisterbergallee 10, 30453 Hannover, ab 12 Uhr erinnert.